Astrid Bardenheuer, artothek, Raum für junge Kunst, Köln​​

… Seit 18 Jahren begibt sich der Kölner Künstler einen Tag im Jahr für ein paar Stunden in den herbstlichen Wald und lässt dort von einem wechselnden Team den Boden fegen. Waren zu Beginn die auserwählten Waldarbeiter aus dem engeren Freundeskreis, so fordert Weber seit 2011 eine Person seines Kunstumfeldes auf, eine Gruppe Mitstreiter zu benennen, die die von ihm bestimmte Arbeit ausführt. Nach der Arbeit werden Team und gefegtes Areal für eine Fotoarbeit inszeniert und anschließend wird der Urzustand des Waldstücks wiederhergestellt.

Es bleibt die Fotografie, als Dokumentation und künstlerische Arbeit des jeweiligen Jahres.

Auf den zwölf verschiedenen Fotoarbeiten sind Menschen in Herbst- oder Winterkleidung zu sehen. Rechen in der Hand, stehen sie im kahlen Waldstück, der laubbedeckte Boden ist an einigen Stellen bis auf das Erdreich freigelegt. In runden oder eckigen Flächen sind Personen in mehr oder weniger starrer Ordnung aufgestellt. Sie präsentieren sich, ihre geleistete Arbeit an einem scheinbar absurden Unterfangen?

Der öffentliche Raum wird temporär besetzt, ein Gebiet abgesteckt, eine Landmarke erstellt. Gestaltungskonzept, Witterung und Mannschaft sorgen für Varianten im alljährlichen Ergebnis.

Verwelkte, abgestorbene Blätter werden dem Nährstoffkreislauf zum Trotz weggeräumt, um einer Idee von Ordnung und Schönheit zu folgen. Für kurze Zeit wird in der kultivierten Natur am Stadtrand Ordnung geschaffen, werden künstliche bzw. künstlerische Strukturen angelegt, aufgeräumt, so wie es Weber aus den Nutzwäldern seiner Kindheit in Süddeutschland kennt.

Die vertraute Handlung des Fegens erscheint im Wald absurd, entwickelt sich aber durch das wiederkehrende künstlerische Szenario zu einem Ritus, der Beständigkeit und Sicherheit vermittelt und die Teilnehmer zu einer Gruppe Eingeweihter macht. Nahm Ivo Weber zu Beginn des Projektes noch aktiv am Fegen teil, so hat er sich im Laufe der Zeit in die Rolle des Regisseurs begeben, der die eingeladenen Teilnehmer zu Performern werden lässt.

Dr. Johannes Stahl, Kurator, Köln

Erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen sage, warum Ivo Weber den Wald fegen lässt. Bei Joseph Beuys war das anders. Es gab einen klaren Grund. Ein seltenes Foto eines unbekannten Fotografen zeigt ihn und übrigens auch Anselm Kiefer mit anderen bei der „Waldfegen“ – Aktion 1972. Es war ein Protest gegen die Abholzung eines Waldstücks am Düsseldorfer Rochusclub. Ivo Weber war damals 10.

Auch weshalb ich als Jugendlicher Birken ausholzen durfte hatte einen klaren Grund: es war Kirmes, und die maienhaft duftenden Bäume wurden über das ganze Dorf verteilt. (Keine Maibäume übrigens.)

Ansonsten bleibt das Waldfegen eine rätselhafte Sache – von gelegentlichen Putzaktionen abgesehen, die es immer wieder einmal gibt und in der Regel ökologische Öffentlichkeitsarbeit sind. – aber keineswegs so aussehen wie das was wir auf den Bildern sehen.

Geht es um den Wald als mythischen Ort?

In der Antike sind Heilige Haine in Griechenland und Rom, aber auch im Barbaricum belegt. Sie dienten dem Gebet und dem Opfer.

Arnold Böcklin (1827–1901): Heiliger Hain, 1886, Malerei auf Mahagony 100 × 150 cm, Kunsthalle Hamburg. Transfer auf ein Gemarkungsstück in der Lüneburger Heide. Abbildung mit einem nicht näher mit den Bildern Webers verwandten Ritual.

Auf Umwegen ist sogar ein Stück Lüneburger Heide mit einem Gemarkungsnamen „Heiliger Hain“ versehen worden, wegen Böcklins Bild – nicht jedoch dem, was wir dort sehen.

Elias Canetti: Masse und Macht

»Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der _marschierende Wald. In keinem modernem Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch heute gern auf und fühlt sich eins mit Bäumen.“

Ich breche hier aber lieber ab, bevor es völlig konfus wird und ich noch damit anfange, dass der Herbst – in welchem diese Aktionen unzweifelbar stattgefunden haben müssen – als Maler bezeichnet wird.

An was kann man sich halten angesichts der Fragen, die diese rätselhafte Aktion des Waldfegens birgt?

Es sind zunächst einmal: Gestellte Fotos.

Es ist ein bestimmtes Stück Wald mit einem unbestimmbaren Ort.

Lodenmäntel und Waldbesen haben ihre sehr eigene Rolle.

Es gibt anscheinend einen Fotograf und wohl auch einen Regisseur.

Das Foto hat seine sehr spezielle Typologie. So werden Personengruppen und ihre Taten dargestellt. Die Pose ist durchaus repräsentativ. Das Foto beweist: man hat etwas getan.

Aber wer?
Eine Gruppe Eingebundener, Eingeweihter, eventuell Erleuchteter?
Wir sehen: Sich jährlich wiederholendes Ritual
Es sind wechselnde Personengruppen.

Der teure Druck auf billigem Papier
„Die ganze Welt des Waldfegens“

Die Übertragung auf die nächtliche Homepage von Ivo Weber:
Sind wir wirklich live dabei?

Über das Temporäre: die Ausstellung dauert nur einen Tag. Allerdings ist die Artothek nicht nur ein Wechselausstellungsort, aber auch die Garage immer wieder ausschwärmender Bilder.

Was mir noch einfällt:
In Köln hat Konrad Adenauer viel für das Stadtgrün und den Wald getan – immerhin ist Köln soonst eine dicht besiedelte Stadt und ein Industriestandort.

Da stehen sich gegenüber: die Erholung und die Idee, den Wald zu bewirtschaften.

Grünmobil, 1 Euro-Jobber

Ivo Weber: „ich mache keine Land Art.

Anschließend werden die Spuren verwischt. Die Situation war wirklich nur wenige Stunden lang.

Der Claim: das Stück, das (auf Zeit?) meines ist. Aneignung, Spur.

Jäger (aber sind sie auch Heger?)

Ivo Weber lässt sich bei aller Offenheit nicht so leicht in die Karten Schauen. Mit traumhafter Sicherheit sondiert er Elemente aus dem Alltag, religiöse Gegenstände, Tierpräparate, auch Handlungen des Brauchtums und verschleppt alles das in eigene Zusammenhänge, in denen es eine eigene Schwerkraft gibt, der Blick verengt und genauer wird, auch wenn man den Kopf schütteln muss, weil man diese leichte Verwunderung nicht loswird, immer wieder nicht.

Waldfegen scheint eine leichte Arbeit zu sein. Aber man muss dafür die Kulturen betreten, in denen sie geleistet wird.